„Mein Arbeitstag hat 17 Stunden und am Wochenende plane ich die nächste Woche. Schliesslich läuft ohne mich die Firma nicht“. Kennen Sie Menschen, die genauso von Ihrer Arbeit sprechen? Erkennen Sie sich womöglich sogar selber in dieser Aussage?
Gegen ein grosses Engagement im Job ist nichts einzuwenden. Also: Herzlichen Glückwunsch, dass Sie in Ihrer Arbeit Erfüllung und Freude finden. Wenn Sie den Job, Ihre Arbeit, zu Ihrem Lebensinhalt gemacht haben, ist das grossartig. Es ist toll, wenn Menschen eine Aufgabe im Leben haben und voll dafür brennen. Solange Sie Ihre Zeit auch voll dieser Arbeit widmen können, stimmt das wohl auch für alle Beteiligten.
Was aber passiert, wenn die Zeitrechnung plötzlich nicht mehr aufgeht?
Arbeit ist toll oder?
In unserer Welt hat die Arbeit einen sehr hohen Stellenwert. So hoch, dass wir wenn wir Menschen kennenlernen, spätestens beim zweiten Satz nach dem Job fragen. Es ist für uns so normal, dass die Arbeit einen Teil oder gar den Menschen ausmacht, dass wir das kaum hinterfragen. So ist auch der Druck gross, einen guten Job zu haben. Nur wer Karriere macht, einen Jobtitel führt oder eine angesehene Position bekleidet, gilt etwas im Leben.
Das passt alles so lange zusammen, wie es für die einzelnen Menschen funktioniert. Solange die Arbeit spass macht, die Aufgaben interessant und das Team toll ist, finden wir nichts dabei, mehr als die im Arbeitsvertrag vereinbarten Stunden im Einsatz zu sein. Wir fühlen uns gebraucht, wertvoll, als Teil der Gesellschaft und leisten gerne.
Was aber passiert, wenn sich die Arbeit oder die Umstände in unserem Leben plötzlich ändern. Was passiert, wenn das Klima nicht mehr passt, die Konditionen sich geändert haben oder wir schlicht den Sinn in der Arbeit verlieren?
Dann sieht man sich plötzlich mit der Frage konfrontiert: Wann lebe ich denn?
Zwei Bereiche, die nicht (mehr) vereinbar sind.
Irgendwann ist der Punkt gekommen, wo wir dann erkennen, dass es zwei Bereiche in unserem Leben gibt. Die Arbeit und die Freizeit. Es ist plötzlich nicht mehr egal, welche Tageszeit ist, sondern die Trennung Privat / Beruf spielt eine Rolle.
Die Ursache für einen solchen Wendepunkt kann ganz unterschiedlich sein. Womöglich gibt es einen neuen Chef, der mit den eigenen Werten nicht übereinstimmt. Die Teamkonstellation ändert sich, Aufgaben werden neu verteilt oder die Firma gerät in Schieflage und das Arbeitsklima ändert. Vielleicht ist es aber auch die eigene Lebensrealität die sich verändert, Krankheit, neue Partnerschaft, Familie usw. haben automatisch Einfluss auf die Balance zwischen Arbeit und Privat. Es gibt viele Umstände die beim einzelnen dazu führen, dass er seine eigene Arbeitsauffassung plötzlich hinterfragt.
Quiet Quitting
An diesem Punkt wird es plötzlich wichtig, dass zum Job ein Ausgleich besteht. Das Freiräume eingehalten werden, eine Trennung zur Firma passiert. Der Arbeitsvertrag, der Funktions- oder Stellenbeschrieb gewinnt an Bedeutung. Was habe ich vertraglich zugesagt und was muss ich leisten?
Vielleicht haben Sie den Begriff „Quiet Quitting“ schon gehört. Genauso bezeichnete man dieses Phänomen, wenn Arbeitnehmer nur das leisten was in Ihrem Vertrag steht. Menschen sind nicht bereit länger erreichbar, mehr präsent oder flexibler zu sein, als es in ihrem Arbeitsvertag vereinbart wurde. Der Unterschied zur inneren Kündigung liegt darin, dass Menschen ihren Job lieben und machen möchten, nur sind sie nicht bereit, mehr als vereinbart zu leisten.
Vertrag ist Vertrag
Wenn man das so liest, kann das ja kein Problem sein, denn schliesslich hat der Arbeitgeber diesen Vertrag ja ausgearbeitet. Somit müsste das Vereinbarte genau dem entsprechen, was der Job erfordert.
In den Meisten Firmen ist das aber nicht so. Viele Firmen zählen nach wie vor darauf, dass Mitarbeiter flexibel einsatzbereit sind, Überstunden und ständige Erreichbarkeit gehören zu vielen Jobs ganz selbstverständlich dazu und werden nicht gross diskutiert. Solange diese Kultur in der Firma gelebt wird, ist auch ein ausbrechen nicht einfach. Aber manchmal führt kein Weg daran vorbei, denn sonst kommt es längerfristig wirklich zur inneren Kündigung.
Ich will meine alte Welt zurück!
Menschen, die sich lange Zeit mit Ihrer Arbeit sehr verbunden fühlten, fällt es schwer die Veränderung zu akzeptieren. Besonders, wenn nicht sie der Auslöser für die Veränderung sind, sondern die externen Bedingungen sind verändern. Gerade für diese Menschen beginnt ein solcher Wandel auch mit einer Trauerphase. Sie fühlen sich ausgeliefert, hilflos und wünschen sich, dass alles wieder so wird wie davor.
Hier braucht es eine Art Auslegeordnung. Welche Möglichkeiten gibt es konkret um mit der neuen Situation umzugehen? Hilft ein Gespräch, soll gekündigt werden oder gibt es eine andere Möglichkeit um auf die Veränderung zu reagieren? Meist dauert es eine Zeit, bis diese Menschen wissen, was Ihnen gut tut und welchen Weg sie nun einschlagen wollen. Die Variante mit den Quiet Quitting ist in einer solchen ersten Phase hilfreich. So kann man innerhalb des gewohnten Jobs Dinge finden, die ausserhalb existitern, also in Sicherheit neues entdecken.
Was gibt es denn noch, ausser Arbeit?
Wenn Sie nun bemerken, dass Arbeit nicht ihr ganzes Leben sein soll, womit könnten Sie denn dann die Zeit füllen, die Ihnen ausserhalb des Arbeitsvertrags zusteht? Wie findet man heraus, was einem erfüllt und womit man sinnvoll den Tag verbringen kann? Am Einfachsten ist es wohl, sich zu fragen, was einem im Leben wichtig ist. Gerne kann hierzu auch das positive Erleben im Job herangezogen werden.
Was hat mir im Job am meisten Spass gemacht? War es der Austausch mit den Menschen, war es die Konkurrenz zu den Teamkollegen oder war es das Gefühl gebraucht zu werden? Genau danach können Sie in ihrer Freizeitbeschäftigung suchen. Womöglich sagen Sie sich aber auch, im Job habe ich davon genug, dann suchen Sie sich einen Ausgleich.
Probieren Sie Dinge aus und entdecken Sie Neues – die Zeit dazu, haben Sie ja jetzt.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie etwas finden, das Ihr Leben bereichert. Dass Sie sich unabhängig vom Job auch wohl fühlen und sich nicht mit allem einverstanden erklären müssen.